Der pathologische Hass der ÖVP auf die Sozialdemokratie – Gedanken zum 12. Februar und aktuelle Chat-Nachrichten
Vor dem Hintergrund des unverschämten „Rotes Gsindl“-Sagers von Frau Mikl-Leitner stellt sich mir – nicht zum ersten Mal – die Frage: Warum ist die Verachtung der „Volkspartei“ auf die Sozialdemokratie so stark ausgeprägt? Ein kurzer geschichtlicher Abriss könnte Licht ins Dunkel bringen.
Mit Gründung der 1. Republik 1918 brach eine neue Erfahrung auf die Konservativen, die noch kurz davor stramme Monarchisten und überzeugte Imperialisten waren, herein. Für die „einfachen Menschen“, die von der herrschenden Klasse laufend als Gsindl bezeichnet wurden und offensichtlich noch immer werden, begann der Aufbruch in eine neue, bessere Welt – fern der Unterjochung. Das schmeckte den Christlich Sozialen jedoch überhaupt nicht.
Mit der Wohnbausteuer begann in den 1920er Jahren die Ära der Gemeindebauten und die Stadt Wien sorgte mit dieser Errungenschaft international für großes Aufsehen - zum Erstaunen und Schrecken der Konservativen. Gleichzeitig etablierten sich Betriebsräte, die auf Gleichberechtigung pochten und – gemeinsam mit den Sozialdemokraten – zahlreiche Sozialreformen zum Wohle der Menschen initiierten. Dies schürte den Zorn der Christlich Sozialen, die im Geiste von Lueger Antisemiten und Antidemokraten waren, ins schier Unermessliche. Die Angst, dass sich die Lebensbedingungen des aufgeklärten „Pöbels“ in allen Lebensbereichen zum Positiven ändern könnten, war groß.
Ein Symbol des Hasses auf die Sozialdemokratie offenbarte sich spätestens im Jahr 1930 mit dem sogenannten „Korneuburger Eid“. Die Demokratie wurde zum Feindbild auserkoren, das es zu bekämpfen galt. Es folgte die Ausschaltung des Parlaments (1933) durch den Diktator Engelbert Dollfuß (Christlich Soziale Partei). Der Beginn des Austrofaschismus war damit eingeläutet.
1934 kam es in Österreich zum Bürgerkrieg und dem Verbot der Sozialdemokratie. Während Dollfuß den Schießbefehl - mit Maschinengewehren und Kanonen - auf Menschen in Gemeindebauten gab und Schutzbündler am Würgegalgen in Schauprozessen hinrichten ließ, bastelte er eifrig weiter am „Ständestaat“, einem autoritär-faschistischen Gottesstaat. Anleihen nahm er beim Duce del Fascismo, dem Italiener Benito Mussolini, einem Bündnispartner von Adolf Hitler.
Die Demokratie wurde von den Christlich Sozialen ausgehebelt. Parteien waren fortan verboten. Andersdenkende wurden verfolgt, gefoltert, erschossen oder gehängt. Doch die dunkelsten Stunden der österreichischen Geschichte sollten mit dem Einmarsch der Nationalsozialisten im Jahr 1938 noch vor uns liegen.
Im Rahmen eines Putschversuches im Juli 1934 wurde Dollfuß von Nationalsozialisten erschossen. An seine Stelle trat einer der „Architekten des grausamen Ständestaates“: der Dollfuß-Komplize Kurt Schuschnigg. Dieser hatte viele Jahre später in einem Fernsehinterview die Hinrichtung von Karl Münichreiter, einem Widerstandskämpfer, als „Fauxpas“ bezeichnet.
1938 wurde Schuschnigg auf den Berghof von Adolf Hitler in Obersalzberg zitiert. Im sogenannten „Berchtesgardner Abkommen“ wurde die Kapitulation Österreichs festgemacht. Die Ostmark wurde besiegelt. In seiner letzten öffentlichen Rundfunkansprache faselte Schuschnigg mit bemühter Stimme noch „Gott schütze Österreich.“
Eineinhalb Jahre später folgte die größte Tragödie des 20. Jahrhunderts, der Zweite Weltkrieg, der – bis zur Befreiung durch die Alliierten – Schmerz, Leid und Millionen Tote über die Kontinente brachte.
Mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht 1945 ging der Vernichtungskrieg zu Ende. Zu dieser Zeit wurden die ehemaligen Austrofaschisten Figl und Raab Teil des Establishments und legten über den Mythos der „Lagerstraße“ geschickt ihre Vergangenheit ab – und führten fortan die Geschicke der ÖVP, der Nachfolgepartei der Christlich Sozialen des Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg.
Auch 88 Jahre nach der Schreckensherrschaft der Austrofaschisten gelten bei ÖVP-Vertretern Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten offenbar noch immer als „rotes Gsindl“. Waren es früher die Christlich Sozialen Arbeitermörder, die sich dieser Sprache bemächtigt haben, ist es heute eine Landeshauptfrau, die offenbar den Geist vergangener Tage wieder hochleben lässt. Ihr vielbeschworenes Miteinander, das sie landauf, landab zum Besten gibt, hält den Realitätscheck nicht stand.
Der sozialdemokratische Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky wusste aus persönlichen Erlebnissen und den schrecklichen Ereignissen des Austrofaschismus, warum er der so genannten „bürgerlichen“ Volkspartei nicht vertrauen konnte. Wenn man sich die Chats einiger ÖVP-Proponenten durchliest, dann kommt man zu dem Schluss, dass Kreisky richtig gelegen ist.
Wo wäre die Demokratie, wo wäre Österreich ohne „rotem Gsindl“?
Wehret den Anfängen, übt politischen Ungehorsam und leistet Widerstand gegen Diktatur und Faschismus – auch wenn er modern und vielleicht zeitgemäß wirken möge!